Predigt zu Mt 13, 44-46 im Verabschiedungsgottesdienst am 28.07.2024

Liebe Gemeinde,
das Bibelwort für den heutigen Sonntag sind zwei Reich-Gottesgleichnisse.
Nähern wir uns an mit einer wahren Geschichte, auch wenn diejenigen, die aus anderen Regionen kommen, sich vielleicht wundern über das, was die Oberfranken so machen:

Ein von mir sehr geschätzter Pfarrer, von mir ordiniert, erzählte mir jüngst Folgendes:
In der Gemeinde, in der er seinen Pfarrdienst begann, fand er eine besondere Praxis des Beerdigens vor. Alle wurden so beerdigt, dass sie, wenn sie sich im Grab aufrichten würden, nach Osten schauen würden.
Der Grund: Wenn Jesus wiederkommt und sein Reich für Lebende wie Verstorbene zur Geltung kommt, dann wollen sie in Richtung Jerusalem schauen können und ihm entgegen gehen.
In der Mitte dieses Friedhofs ist ein Weg und entsprechend wird die Reihe auf der einen Seite mit den Füßen zum Weg und die andere mit dem Kopf zum Weg beerdigt.
Einmal aber geschah es, dass ausgerechnet bei einem ganz treuen Gemeindeglied der Sarg falsch ins Grab gesenkt wurde. Bei denen, die das merkten, war es mit der Andacht vorbei. Sie kamen gleich nach der Beerdigung zum Pfarrer. Es war vollkommen klar: So kann er nicht liegen bleiben.
Auf dem Dorf arbeiten Pfarrer und Beerdigungs-institut Hand in Hand. Der Verstorbene lag wenige Stunden später richtig herum im Grab, dem kommenden Herrn zugewandt.
Ich bin ein wenig stolz auf diesen Pfarrer. Er weiß doch: Wenn Jesus wiederkommt, werden alle es wahrnehmen - egal wie herum gewendet sie lebend stehen oder tot im Grab liegen, ob die sterblichen Überreste verbrannt wurden oder nicht. Und bestimmt sehen das im Dorf fast alle auch so. Aber, diese Praxis ist liebevoll gegenüber den Verstorbenen. Und sie drückt eine Liebe zu Jesus Christus aus, die den Tod überdauert. Und sie hält eine grundlegende Glaubenssehnsucht wach im Dorf: Ich will Jesus sehen und bei ihm sein.

Im Neuen Testament gibt es viele Bibelstellen, die verheißen, dass das Reich Gottes erfahrbar für Tote und Lebende anbricht, wenn Jesus wiederkommt. Die Reiche dieser Welt sind allesamt vergänglich. Eines bleibt und setzt sich durch am Ende: das Reich, in dem Friede herrscht und die Liebe regiert und Opfern zu ihrem Recht verholfen wird - und zwar so, dass sie keine Opfer mehr sind, sondern aufrecht, geheilt und frei. Im Himmel bei Gott leben von ihm Erlöste, Versöhnte und Zurechtgebrachte.
Der reumütige Verbrecher, der neben Jesus am Kreuz hängt, bittet: „Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Was Jesus ihm sagt, ist solch eine große Verheißung für uns alle, wenn´s ans Sterben geht. Jesus antwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“
Auch Jesus selbst war also voll Hoffnung auf dieses Reich echten Friedens und wahrer Gerechtigkeit bei Gott, das für uns entweder mit der Wiederkunft des Menschensohns anbricht - oder nach unserem Tod.
Letztendlich ist unsere Weise vom zukünftigen Reich Gottes zu reden sehr bildhaft, weil wir zeitlich denken und es doch um die Ewigkeit geht.

Was Jesus verkündigte, wird im Matthäus-evangelium zwei Mal so zusammengefasst:
„Er predigte das Evangelium vom Reich.“
Jenseitig und zukünftig dachte man im Judentum zur Zeit Jesu das Reich Gottes - Jesus auch, er war Jude. Doch, er bringt eine neue Sichtweise ein:
Es ist jenseitig, ja - aber auch diesseitig;
zukünftig, ja - aber auch schon gegenwärtig.
Die Pharisäer fragen ihn: „Wann wird das Reich Gottes kommen?“. Er antwortet: „Seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch“. Jesus steht eben mitten unter ihnen.
Als er einen Menschen heilt, der besessen, blind und stumm war, sagt er: Wenn ich dies tue, „ist das Reich Gottes zu euch gekommen“.
Jesus wusste, da ist Gott selbst am Werk, da ist der Himmel offen, wenn er Menschen heilt und befreit, wenn Zachäus umkehrt und ehrlich wird, wenn Menschen glauben können, dass Gott vergibt.
Das Reich des Friedens, das die ganze Welt erfährt, wenn Jesus wiederkommt und das wir erfahren, wenn er uns im Tod zu sich holt; dieses Reich Gottes bricht auch mitten im Leben an - dort, wo geschieht, was Gott will. Gott handelt in und durch Jesus - und durch Menschen, die tun, was er will.

Der Antikorruptions-Aktivist, Jurist und Gegner der Putin-Diktatur, Alexei Nawalny starb am 16.02. dieses Jahres im sibirischen Straflager. Trotz Ermordungsversuch war er, nach Heilung der Folgen des Giftanschlags, im Januar 2021 nach Russland zurückgekehrt.
Ich mache ihn bestimmt nicht zu einem Heiligen, aber ich fragte mich all die Jahre, woher er die Kraft und den Mut dazu nahm. Ich fragte mich wirklich.
Nach seinem Tod erst erfuhr ich, dass er Christ war. Er bekannte seinen Glauben an Christus direkt nach seiner Verurteilung vor dem Moskauer Bezirksgericht am 20.02.2021 in seiner Schlussrede.
Er begann mit der rhetorischen Frage, ob er zu den Richtern über Gott und Erlösung sprechen solle. Er zitierte: „Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, sie sollen satt werden.“
Stephan Juette, ein Schweizer Theologe und Publizist fasst in seinem Nachruf die Grundbewegung in Nawalnys Rede so zusammen: „Seine - Nawalnys - Hoffnung bezieht sich auf das Reich Gottes, das in dieser Welt auf uns zukommt.“

Das zu lesen berührte mich. Im Vertrauen auf Gottes Reich und seine Gerechtigkeit, die sich durchsetzen wird und schon in uns wirksam ist, liegt Kraft - die auch der Tod nicht zerstört. Im Gegenteil.
Jesus lehrte uns zu beten im Vaterunser: „Dein Reich komme“ - auch hier und jetzt bei uns, in unsere kleine und große Welt.
Er predigte das Evangelium vom Reich und holte es in die Gegenwart.
Mit dem Erzählen der Gleichnisse, die heute Predigtwort sind, geht Jesus noch einen Schritt weiter. Jesus erzählt vom Reich Gottes sogar als etwas bereits Geschehenem.
„Das Himmelreich gleicht einem Schatz“ und „das Himmelreich gleicht einem Kaufmann“, so beginnt er die beiden Gleichnisse. Was nun, wem gleicht das Himmelreich, einem Schatz oder einem Kaufmann? Weder noch, sondern es gleicht einem Geschehen, das bereits stattgefunden hat.
Wir haben die Gleichnisse aus Matthäus 13 vorhin gehört. Ich lese nun nochmals das erste:
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.

Als ich dieses Bibelwort las, wurde ich sehr nachdenklich, weil ich in mich ging:
Ich habe nicht alles verkauft. Mein Mann und ich haben ein Häuschen, in das wir ziehen werden. Sind wir am Reich Gottes vorbeigegangen?
Ich erzähle diese Regung so ehrlich, weil diese Gleichnisse in der Auslegungsgeschichte häufig genauso missverstanden wurden, wie spontan von mir und damit ins Gesetzliche und Fordernde verkehrt wurden - ins Gegenteil von dem, was Jesus will.
Jesus erzählt nämlich diese beiden Gleichnisse seinen Jüngern, die bereits alles dreingegeben hatten. Sie ließen als Fischer ihre Netze liegen, weil sie spürten, diesem Jesus zu folgen lohnt mehr als alles andere im Leben. Durch ihn geschieht Heilung, werden Menschen gerecht und ehrlich, ist Friede.
Als Jesus diese beiden Gleichnisse seinen Jüngern erzählt, macht er sie froh, weil sie verstehen:
Als wir Jesus zu folgen begannen, hat Gott gehandelt, hat sich sein Reich ereignet, kam Ewigkeit in die Zeit.

Wir nehmen wahr, dass Glaube in den Familien abnimmt, Kirche kleiner wird, Rechtspopulismus und Egoismus um sich greifen.
Natürlich sind wir aktiv, wollen, dass es in der Welt gerechter zugeht und kaufen Fairtrade-Kaffee; wir treten extremistischen Parolen entgegen, wir bemühen uns, dass Frieden in unserem Umfeld ist und die Umwelt heilt; wir erzählen von Jesus, dass auch andere angesteckt werden vom Reich Gottes.  Gut so!
Doch unser Mut, unsere Kraft sind endlich und manchmal scheint Gegenläufiges stärker. Dann ist die Gefahr, dass wir noch angestrengter selbst versuchen, all das Gute zu verwirklichen in Kirche, Gesellschaft, Familie - als ob wir das Reich Gottes bauen könnten!

Dem gegenüber verändern die beiden Gleichnisse unsere Blickrichtung:
Der eigentlich Impulsgebende in den Gleichnissen ist aber weder der Ackernde noch der Perlenhändler, sondern - der Fund! Der Fund löst große Freude aus. In seiner Freude über den Fund verkauft der Ackernde alles, was er hat und erwirbt den Acker mit dem Schatz.
Jesus erzählt zwei Gleichnisse, die den Blick drehen - nicht auf das, was schlecht läuft und wir tun sollten, sondern auf das, wie Gott Leben verwandelt. Er hat bestimmt auch in Ihrem Leben schon Frieden wachsen lassen und Liebe und Freude.

Und das Verkaufen und Loslassen? Der Weg im und ins Reich Gottes geschieht nicht ohne Loslassen. Loslassen müssen wir alle üben - in unserem Leben und auch in der Kirche. Auf den letzten Finanzklausuren des Landeskirchenrates haben wir begonnen zu üben und manche Kirchenvorstände sind schon kräftig dabei.

Loslassen macht selten Freude - auch mir heute nicht. Ganz bestimmt nicht! Aber Freude über Gott und sein Reich hilft entscheidend dabei.

Was ist also Grund meiner Freude trotz Loslassen? Dass ich in den zurückliegenden Jahren immer wieder erfahren habe, wie Gott Leben verändert: Ich denke z.B. an die Iraner, die Christen wurden. Sie haben die Befreiung erlebt, dass Jesu Reich nicht von dieser Welt ist - kein Gottesstaat. Umso mehr schenkt er Kraft für diese Welt in der Liebe zu ihm. Davon können die Iraner erzählen.
Und: Quell meiner Freude ist die Zuversicht, dass Gott heilsam handelt in Eurem Leben und in meinem, auch in Zukunft - auch in unserer Kirche gegen alles gottvergessene Unken.
Gott baut sein Reich durch Jesus Christus. Er hat es getan und wird es tun.
Amen.