Liebe Gemeinde,
viel Glück und viel Segen rufen wir alle heute unserem Geburtstagskind zu, der Lebenshilfe Hof, die in 26 Einrichtungen um die 1.100 Menschen mit Beeinträchtigung jeden Alters begleitet.
Wenn man sich anschaut, wie die Lebenshilfe in diesen 60 Jahren gewachsen ist, dann zeigen sich da Glück und Segen. Das Wort Glück kommt vom Wort „Gelingen“. Wir sind heute dankbar, was Gott gelingen ließ in diesen 60 Jahren und erbitten gemeinsam, dass Gott auch weiterhin segnet und Gelingen schenkt.
Die Hofer Lebenshilfe ist ein besonderes Juwel. Denn von den ungefähr 70 Lebenshilfen in ganz Bayern sind nur drei der evangelischen Diakonie angeschlossen.
Vor allem freut mich, dass die Lebenshilfe ihre evangelische Prägung wahrnehmbar lebt - sei es beim Morgenkreis jeden Montagmorgen im Therapeutisch-pädagogischen Zentrum oder durch spontanes oder regelmäßiges gemeinsames Beten, wie etwa der Treff beim Chef in der Schule am Lindenbühl.
Der Treff beim Chef in der Lindenbühlschule ist - damit da keine Zweifel entstehen - der Chef ganz oben. Kurze Nebenbemerkung - das ist übrigens auch eine der beiden Schulen in ganz Oberfranken, die vor wenigen Tagen staatlich ausgezeichnet wurde mit dem „Profil Inklusion“!
Zurück zum christlichen Profil der Lebenshilfe:
Wir haben auch gemeinsam gebetet bei der Vorbereitung dieses Gottesdienstes: Frau Köppel-Meyer, Geschäftsführer Siegfried Wonsack, erster Vorsitzender Bernhard Wölfl und ich.
Diese unmittelbar gelebte Gottesbeziehung, die ich in diesem Gespräch erlebte, aber auch schon bei früheren Besuchen bei anderen Mitarbeitenden und Eltern der Lebenshilfe, ist ein großes Geschenk - natürlich zuerst für die Menschen selbst, doch ich bin gewiss, dieser Geist strahlt in die Lebenshilfe und sogar in die Stadt Hof und den Landkreis hinein.
„Herzensmenschen bauen Brücken“, ist ja Thema dieses Gottesdienstes. Bei der Hofer Lebenshilfe sind Herzensmenschen am Werk, die Brücken bauen zwischen Menschen und zu Gott, weil sie ein Herz haben für Menschen mit Beeinträchtigung, samt ihren Familien und für Gott.
Das war schon zu Beginn so, als Pfarrer Danner, andere Pfarrer, Christen aus Politik und Gesellschaft und Eltern sich für die Vereinsgründung einsetzten. Sie wollten die Menschen mit Beeinträchtigung und ihre Familien besser unterstützen können. Glaube an Gott, der liebt, war damals und ist heute der kräftigste Motor für die Liebe zu den Menschen.
Der Inbegriff eines Brückenmenschen war und ist Jesus Christus. Darum habe ich eine biblische Geschichte ausgewählt, die von ihm erzählt und natürlich von einem Menschen mit einer schlimmen Beeinträchtigung.
Ich lese aus dem Johannesevangelium, Kapitel 9:
Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: „Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Oder haben seine Eltern gesündigt, so dass er blind geboren wurde?“
Jesus antwortete: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden.“
Wenn Krankheiten auftreten, stellen Menschen oft innerlich die Frage nach der Schuld. Jesus will keine Spekulationen über die Ursachen dieser Krankheit.
Er sieht die Chance; das Wirken Gottes soll an dem kranken Menschen erfahrbar werden.
Wie wird das Wirken Gottes erfahrbar? Wichtig: Wenn keine echte Liebe da ist, ist es kein Wirken Gottes. In dieser Geschichte wird sichtbar, wie sehr Jesus liebt. Es ist ihm völlig egal, dass es Sabbat ist. Er redet nicht über den Blindgeborenen. Er wendet sich ihm zu und hilft ihm.
Perfektes können wir nicht lieben, nur bewundern und achten. An Menschen mit Schwächen und Grenzen kann unsere Liebe wachsen. Gerade Krankheiten waren und sind Anreiz zur Liebe. Menschen, die Behinderung zuerst unter dem Vorzeichen sehen, wie man sie verhindern kann, haben nicht erkannt, dass die beste Schule der Menschlichkeit das wechselseitige Annehmen von Menschen mit all ihren Beeinträchtigungen ist.
Und was, wenn wir selbst beeinträchtigt sind? Was sind da die Werke Gottes, die erfahrbar werden sollen? Vorweg: Ob wir behindert sind, ist ein sehr relativer Begriff.
Ich zum Beispiel habe u. a. ein Augenleiden, trockene Augen, die ich dauernd tropfen muss und ich habe seit Monaten eine schmerzhafte Entzündung in den Muskeln und Sehnen des rechten Armes, sodass ich - ob ich will oder nicht - vieles mit links mache.
Nun werden manche sagen, diese Leiden sind nicht echt schlimm. Stimmt! Aber das reicht, um anzudeuten: spätestens, wenn wir älter werden, bekommen wir alle unsere Behinderungen.
Ich erlebe aber, dass Jesus durch Beeinträchtigungen in besonderer Weise hineintreten kann in unser Leben. Schmerzen sind für mich immer ein Anlass mit meinem Herrn noch mehr in Verbindung zu stehen, weil ich ihn brauche. Und ich weiß: Jesus hat ein liebendes Herz, lässt sich durch meine Bitte berühren und berührt mich heilsam - zumindest in meiner Seele.
In der biblischen Geschichte heilt Jesus den Blindgeborenen auch körperlich. Wie gut wäre es, wenn Jesus heute auch noch unter uns wäre und unsere Beeinträchtigungen heilen würde.
Er ist heute unter uns, unsichtbar, und schenkt seine wohltuende Nähe. Und manches, das unser Leid erleichtert, schenkt er auch durch unsere Ärzte, Therapeutinnen und liebevolle Menschen in unserer Nähe.
Das Wirken Gottes soll an dem Bildgeborenen offenbar werden, sagt Jesus. Manches Werk Gottes wird ja sogar durch Menschen mit Handicap offenbar. Ich erzähle dazu zwei kurze Geschichten.
Ich will mit diesen Geschichten das Leben mit Beeinträchtigungen nicht schönreden; das Leben ist oft ohne sie schon schwer genug und erst recht mit ihnen. Doch sind mir diese Geschichten selbst tief im Gedächtnis, weil da Gott an und durch Menschen mit Beeinträchtigung sein Werk tut.
Die erste kleine Geschichte: Sie sitzen zu dritt am Küchentisch: Vater, Mutter und Sohn, der eine deutliche geistige Beeinträchtigung hat, nennen wir ihn Martin. Vater und Mutter streiten und machen sich wechselseitig heftige Vorwürfe. Martin schaut zunehmend verzweifelt von einem zum anderen, bis er die Hände vor den Kopf schlägt und laut klagend ruft: „Oh, wie furchtbar, wie furchtbar.“
Da schauen sich die beiden an und fangen an zu lachen. Martin schaut erneut entgeistert von einem zum anderen bis beide sagen: „Danke Martin, Du hast uns bei diesem blödsinnigen Streit unterbrochen.“
Menschen mit Beeinträchtigung haben oft keine Hemmung auszudrücken, was sie empfinden - und das hilft auch anderen zu sich.
Gott baut durch Herzensmenschen Brücken von Mensch zu Mensch und manchmal sogar zu ihm.
Sie, lieber Norbert Opitz, haben bewegend erzählt. Wörtlich sagten Sie: „Eine ganz entscheidende Brücke zu Gott war und ist mein Sohn Christoph.“
Ich habe immer wieder erfahren, dass Menschen mit starker geistiger Beeinträchtigung, einen ganz unmittelbaren Zugang zu Gott haben. Dazu die zweite Geschichte:
Als ich ein einwöchiges Seminar bei der Evangelischen Akademikerschaft hielt über den Segen, wünschte sich die Gruppe einen Segnungsgottesdienst, bei dem jeder sich persönlich mit Handauflegung segnen lassen kann. Parallel fand ein Kindergottesdienst statt. Die Segnungen dauerten, und so kamen die Kinder während dieser Einzelsegnungen zurück. Sie setzten sich still in eine vorbereitete Spielecke. Ein einziges Kind stand nach einer Weile auf, ging quer durch den Raum und wollte, dass ich auch ihm die Hände auflege. Es war ein stark geistig behindertes Kind. Es hatte gespürt, dass beim Segen der Himmel offen ist. Das hat alle Erwachsenen bewegt.
Es berührt auch Frau Köppel-Meyer, die die Konfirmanden der Lebenshilfe begleitet, dass Menschen mit schwerster geistiger Beein-trächtigung zum Ausdruck bringen können, welcher Konfirmationsspruch ihrer ist. Sie verstehen mit dem Herzen, um was es geht. Sie nehmen die Botschaft von Jesus, der sie liebt und rettet und vom Vater im Himmel, der sie behütet, unmittelbar auf.
Sie treiben uns aus, von Gott als einem höheren Wesen zu reden, das es irgendwie schon gibt. Sie helfen uns manchmal sehr verkopften Menschen, einfach zu glauben.
Ich habe die Predigt mit dem in der Lebenshilfe gepflegten Gebet begonnen. Jesus kommt zu uns, wenn wir ihn darum bitten. Und wenn Jesus da ist, wird unsere Schwäche und die anderer zur Chance. Denn von ihm lernen wir zu lieben und erfahren, dass er hilft zu leben – auch mit unseren Beeinträchtigungen.
Amen.