Predigt zum Lied: Gott gab uns Atem
Liebe Gemeinde,
das Alphorn ist ein beeindruckendes Instrument!
Es kommt in verschiedensten Ländern der Erde vor, vor allem dort, wo hohe Berge die Landschaft prägen, denn es ist ursprünglich nicht nur Musikinstrument, sondern auch Signalhorn.
Ein Kuhhirte soll im Jahr 1212 im schweizerischen Baltschiedertal so laut in sein Horn geblasen haben, dass man es bis Visp hören konnte. Er warnte vor dem Einfall feindlicher Truppen.
Heute haben wir Handys, die Nachrichten übermitteln und so ist das Alphorn nicht mehr Signalhorn, sondern rein für Musik da - und doch hat es etwas Besonderes.
Eigentlich hatte ich mit dem Lernen von Musikinstrumenten abgeschlossen. Es waren genug: C-Flöte, Klavier, Gitarre - und als unser Sohn Trompete spielen wollte, versuchte ich diesen Weg zu unterstützen, in dem ich mir mit 33 Jahren noch Posaune beibringen ließ durch Reinhard Lammel hier in Bayreuth. Alle Instrumente konnte ich mehr schlecht als recht, eben für den Hausgebrauch. Auf jeden Fall waren es in meinen Augen genug.
Doch dann sprach uns in unserer damaligen Kirchengemeinde Holzkirchen, Oberbayern, jemand an, der selbst Alphornstücke komponierte. Er meinte, wir sollten ihn unbedingt mal besuchen und in ein Alphorn blasen. Er gab uns anschließend zwei Hörner mit - als er merkte, dass bei uns beim Anblasen ein Ton rauskommt.
Und merkwürdig, dieses Instrument faszinierte mich, weil ich nicht wie bei der Flöte Löcher zudrücken, wie bei Klavier und Gitarre Tasten oder Saiten schlagen, und auch nicht wie bei der Posaune den Zug raus- und reinschieben musste.
Vielmehr stand ich einfach still, ohne jede Bewegung. Die Lippen und der Atem allein genügen. Diesem Instrument Töne zu entlocken machte mich selbst ruhig, weil es nichts zu tun gibt, außer atmen, die Lippen spannen und hören, was so rauskommt.
Nun manchmal kommen andere Töne raus als man will. Jener Komponist nannte sie Gasttöne. Man kann dem Alphorn ja nur Naturtöne entlocken - und je nach Lippenspannung werden die höher oder tiefer - manchmal eben auch höher oder tiefer als gewollt.
Es gibt ja die nette Aussage: Das Alphorn ist ein göttliches Instrument. Man bläst hinein - und nur Gott weiß was rauskommt.
Jedenfalls merkte ich, dass dieses Instrument zum Stillwerden und bewusstem Atmen führt. Der Atem ist so etwas Wesentliches für unser Leben.
Wer bei der Geburt eines Kindes dabei ist, erfährt: Der erste Atemzug des Kindes ist das wichtigste Zeichen, dass es außerhalb des Bauchs der Mutter leben kann. Und Menschen, die einen Sterbenden begleiten, beschreiben oft das letzte Ausatmen als heiligen Moment.
Darum ist die eben gehörte Schöpfungsgeschichte so ansprechend. Sie beschreibt den Menschen als von Erde genommen und zu Erde werdend - aber als Wesen, dem Gott seinen belebenden Atem eingehaucht hat.
Versucht einmal aufzuhören zu atmen, es geht ja nicht. Es atmet in uns - unsere Zeit gekommen ist und Gott uns die Tür zur Ewigkeit aufmacht.
Wir singen Gott gab uns Atem, damit wir leben. Vers 1.
Es gehört zu den schönsten Erfahrungen meines Lebens: Immer wieder standen mein Mann und ich in Südtirol auf einer Wiese weit oberhalb Andrians am Lipphof und spielten im Terzett oder Quartett Alphorn - mit Blick auf die Dolomiten gegenüber und das Etschtal unter uns. Man hat das Gefühl, der Ton erfüllt die ganze Luft um uns und trägt bis zum Weiß- und Schwarzhorn.
Natürlich stimmt das nicht. Für die Menschen im Tal sind wir unhörbar. Nur die Höfe in unserer Höhe, die immerhin bis zu 3 oder 4 Kilometer entfernt sind, hören uns. Denn im Tal verläuft nicht nur die Etsch, sondern auch die mehrspurige Autostraße zwischen Bozen und Meran. Sobald man aufhört zu spielen, dringt - je nach Wind - der dumpfe Autolärm empor.
Die Freude an der Schönheit der Schöpfung und die Wahrnehmung ihrer Störung und Gefährdung liegen oft direkt beieinander.
Ich bin dankbar, dass unsere Landessynode auf ihrer letzten Tagung ein Klimaschutzgesetz beschlossen hat. Wir haben uns verpflichtet bis 2035 die gegenwärtig emittierten Treibhausgase auf 10 % zu reduzieren. Dazu gilt es vor allem im Gebäudebereich voranzukommen, denn 89 % der kirchlichen Emissionen werden durch unsere Gebäude verursacht. Wir werden weniger Gebäude haben und die dafür ökologisch saniert.
Auch wenn sich - auch bei mir - noch viel verändern muss, bewegt sich schon etwas in die richtige Richtung. Alle Dekane und Dekaninnen unseres Kirchenkreises haben bereits vor 10 Jahren beschlossen, für unsere Konvente auf Flugreisen zu verzichten.
Denn eine Flugreise produziert ungefähr 8-9-mal so viel Emissionen pro Passagier wie eine Bahnfahrt. Und so flogen wir vorletzte Woche nicht nach London und Chichester, sondern fuhren mit dem Zug durch den Tunnel nach England.
Vor drei Wochen war ich zu einem wirklich schönen Anlass in Walsdorf: Kommune und Kirchen-gemeinde engagieren sich dort gemeinsam im Blühpakt Bayern und haben begonnen, auf den freien Flächen des Friedhofs statt englischem Rasen Blühwiesen zu säen, zum Erhalt der Artenvielfalt.
Es geht voran. Als Christen wissen wir uns dabei unserem Schöpfer verbunden, der uns beauftragt hat, seine Schöpfung mit ihm zusammen zu erhalten.
Wir singen: Gott gab uns Ohren damit wir hören.
Vers 2 des angefangenen Liedes.
Gott gab uns Atem, damit wir leben. Wie es ohne Atem kein irdisches Leben für uns Menschen gibt, so ohne Heiligen Geist kein Leben als Christ.
Die zutiefst existenzielle Bedeutung unseres menschlichen Atems nimmt Jesus auf, wenn er - wie wir im Evangelium gehört haben - die Jünger mit seinem Atem anbläst und sagt: „Nehmt hin den Heiligen Geist.“ Wie Gott dem Menschen in der alten Schöpfungsgeschichte Atem einhaucht, so haucht Jesus seine Jünger an. Es ist ein Akt der Neuschöpfung, das will Jesus sinnbildlich verdeutlichen und bewirken. Wer den heiligen Geist von ihm und dem Vater im Himmel bekommt, lebt neu.
Den Heiligen Geist nennen wir darum auch - bildlich gesprochen - Atem Gottes. Er schenkt ihn jedem, der ihn bittet.
Paulus sagt: „Wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.“ Umgekehrt: Wer den Geist hat, der in Jesus wirkte, der gehört unlöslich zu ihm.
Wir kommen vom Pfingstfest her und haben diesen Gottesdienst mit einem Pfingstlied begonnen: „Komm Heilger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft. Dein Schöpferwort rief uns zum Sein: nun hauch uns Gottes Odem ein“.
Der körperliche Atem ermöglicht dem Kind allein ohne Mutter zu existieren. Der geistliche Atem, der Heilige Geist, ermöglicht dagegen in Verbindung mit unserem mütterlichen Vater im Himmel zu leben.
An vielen Stellen der Bibel ist beschrieben, was sich durch den Geist Gottes in Menschen verändert und was er bewirkt:
Paulus nennt nacheinander als Früchte des Heiligen Geistes: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Maßhalten.
Durch den Atem Jesu angeblasen, durch seinen Geist, werden wir zum Instrument, zum Musikinstrument Gottes in dieser Welt. Durch Christen kommt ein anderer Ton in die menschliche Gemeinschaft. Überhaupt wächst wieder mehr Gemeinschaft unter uns durch Gottes Liebe in uns.
Wir tragen die Melodie des Glaubens in diese Welt. Manchmal kommen freilich trotzdem Gasttöne, die eigentlich nicht gewollt sind. Wir bleiben, trotz Gottes Geist in uns, Menschen. Manchmal kommen wir beim Spielen der Glaubensmelodie fast raus. Doch die Gemeinschaft der Christen, die mit uns dieselbe Melodie spielt, hält uns im Takt, in der Spur.
Wir singen - bevor ich das Ende der Predigt einläute, den dritten Vers. Er macht deutlich, dass Gott dann durch uns die Erde verwandelt.
Er gab uns Hände, damit wir handeln. Vers 3
„Wir können neu ins Leben gehen“, haben wir gerade gesungen. Mit Gottes Geist fängt neues Leben an. Es ist darum ein Risiko, um Gottes Geist zu bitten, weil er uns verwandeln wird. Bissigkeiten gegenüber Familienangehörigen, Eitelkeit und Wichtigtuerei, achtlosen Lebensstil gegenüber Gottes Schöpfung - das alles nimmt er uns, obwohl wir es gewohnt waren.
Neues Leben beginnt, das uns überall zur Liebe führt, zur Liebe zu den unbequemsten Menschen, und zur Schöpfung Gottes durch die Liebe, die Jesus Christus uns einhaucht.
Wir werden sogar seine Boten. Gott schenkt uns seinen Geist, mit dem wir Atmosphären in Räumen verändern. Denn egal wie es mit unserer Musikalität bestellt ist - mit dem Atem des Heiligen Geistes in uns, erklingt die Melodie des Glaubens durch uns in der Welt. Dann locken unsere Töne zum Leben in Gemeinschaft mit Gott und untereinander.
Jener Junge in der Schweiz rettet Leben durch seinen Alphornruf von den Bergen. In gewisser Weise seid Ihr, weil Gottes Geist durch Euch mit Kraft hindurchgeht, Signalhörner, die lebens-wichtige, lebensrettende Botschaft verbreiten.
Zu dieser Verbreitung des Glaubens ermutigen wir uns wechselseitig mit unserem Abendmahlslied: „Kommt sagt es allen weiter!“ Es ist ja die deutsche Übersetzung von: Go tell it on the mountain,
passend zum Alphorn, das in den Bergen die Botschaft in weit entfernte Häuser trägt.